Objekt aus Weihnachtsbäumen

Rede von Walter Lampe, Diakoniepastor zur "Aufstellung des Bettes" in der Passerelle in Hannover am 7.März 1990 um "5 Minuten vor 12"

Durch diese Symbolhandlung-durch das "Aufstellen des Bettes"- von Wilfried Behre wird die Wohnungslosigkeit von mindestens 1.300 alleinstehenden Wohnungslosen und einer sicherlich noch größeren Dunkelziffer zum öffentlichen Skandal. Zusätzlich suchen 11.000 Menschen händeringend eine Wohnung. Wem jetzt noch nicht die Augen aufgehen, dem ist nicht mehr zu helfen. Wir haben auch noch 27.000 Sozialhilfempfänger, für die die Hilfe zum Lebensunterhalt eine Dauerhilfe geworden ist und auf Dauer die Menschen psychisch zermürbt.

Wilfried Behre will uns betroffen machen. "Wenn Künstler schon nicht mehr offen ihre Meinung mit ihren Mitteln sagen können, wer denn sonst", sagt er. Der Bildhauer erinnert uns mit seinen Mitteln an unsere Verantwortung und will uns aus der ohnmächtigen Haltung "wir können ja doch nichts machen" herausreißen.
Stämme von Weihnachtsbäumen waren die Grundlage für den "Bettenbau". Ganz bewußt hat Behre Weihnachtsbaumstämme genommen. Weihnachtsbäume wirft man weg, wenn man sie nicht mehr braucht. An denen die keine Wohnung haben, schaut man vorbei. Der, dem wir das Weihnachtsfest verdanken - dieser Jesus von Nazareth - fand übrigens auch keinen Platz in der Herberge, ein Kind obdachloser Eltern - daraus wurde dann das Fest der Nächstenliebe, aber erst, als die Familie einen Platz gefunden hatte. Nahrung und Wohnung sind die Grundbedingungen für ein menschenwürdiges Leben. Wir verweigern den Wohnungslosen, die auf Platte gehen müssen, ihr Grundrecht auf Wohnung.

Wilfried Behre fordert uns mit dem symbolhaften Aufstellen des Bettes zum schnellen Handeln auf, damit der soziale Friede nicht noch mehr gefährdet wird.
Die Frage kann nicht an ihn lauten:Warum macht er das? Sondern diese Symbolhandlung fragt uns: Warum lassen wir das zu? Es ist in der Tat 5 vor 12!

Ca. 1.300 alleinstehende Wohnungslose bei uns sind 1.300 zuviel! Jeden Tag kommen neue hinzu!
Schon jetzt sind auch viele Aus- und Übersiedler dabei. Mietverträge laufen aus,Verschuldung ist da, schon sitzt man auf der Straße. Irgendwo im Eingang eines Kaufhauses finden manche dann eine geduldete Schlafstelle. Die Passerelle war bislang die Heimat vieler. Aber auch hier werden sie nun vertrieben, damit das Problem nicht noch sichtbar wird und unser Gewissen ruhig gestellt wird.

Wir brauchen mindestens 80 Übergangswohnungen und in jedem Stadtteil eine Tageswohnung - allein für diesen Personenkreis. Ab heute kann nun keiner mehr sagen, er hat nicht von diesem Skandal gehört, daß Menschen in unserem reichen Land unwürdig leben müssen. Jeder hat`s gesehen. Das Aufstellen eines "Bettes" in der Passerelle spricht eine eindeutige Sprache!

Keiner kann mehr sagen - ich habe es nicht gewußt, weil es hier jeder sehen kann!

Walter Lampe,Diakoniepastor


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